Zuerst eine internationale Karriere, jetzt ein eigenes Start-up: Kadri Vunder Fontana will Nachhaltigkeit zum verantwortungsvollen Geschäftsmodell machen.
Im Interview mit der SwissLife zu nachhaltigem Konsum, finanzieller Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Hier gehts zum Originalartikel
Sie haben Bio- und Lebensmitteltechnologie studiert, einen Master in analytischer Chemie, einen MBA- und Doktor-Abschluss und legten eine sehr erfolgreiche internationale Karriere hin – bis sie vor zwei Jahren beschlossen, aus Abfällen der Hirschjagd nachhaltige Lederprodukte herzustellen. Wie kam es dazu?
Ich wollte soziale und umwelttechnische Probleme mit wirtschaftlichen Lösungen angehen. Seit ich Kinder habe, bin ich zehnmal stärker an Ökologie, Lebensmittelproduktion und unserer Umwelt interessiert – diese Themen sind für ihre Zukunft enorm wichtig. Und durch meine Freundin und Jägerin Conny erfuhr ich, dass jährlich tausende Hirschhäute entsorgt werden. Deshalb gründeten wir Cervo Volante.
Viele Firmen wollen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit verbinden. Welches sind die grössten Herausforderungen, um das zu erreichen?
Zuerst muss man den ganzen ökologischen Fussabdruck eines Produktes kennen. Dazu gehört auch die Herstellung aller Bestandteile, Energiekosten und die komplette Logistik. Diesen Fussabdruck zu verkleinern ist aufwändig und teuer.
Wieso sollen Konsumentinnen und Konsumenten für Nachhaltigkeit mehr Geld ausgeben? Viele eurer Produkte kosten einige Hundert Franken und mehr.
Weil sie zeitlose Stücke mit Qualität und konsequenter Nachhaltigkeit schätzen. Wir gerben unser Leder beispielsweise mit pflanzlichen Stoffen und nicht wie üblich mit Chrom. Der Abbau von Chrom zerstört Unmengen an Land und die chemische Gerbung ist eine grosse Umweltbelastung. Unser ökologisches Gerben dauert zwei- bis dreimal länger. Erst wenige sind bereit, den grossen Mehraufwand zu bezahlen.https://www.youtube.com/embed/bmuPcuEoweg?enablejsapi=1&loop=0&start=0&end=0&controls=1&mute=0&autoplay=0&origin=https%3A%2F%2Fwww.swisslife.ch&widgetid=1
Wie schätzen Sie den Markt für nachhaltige Produkte ein: ist das ein Trend, der weiter wächst und sich breit etabliert – oder bleibt das eine Nische?
Das bleibt keine Nische. In den letzten Jahren hat ein Wandel stattgefunden. Jetzt werden auch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Umweltzerstörung öfters sichtbar. Spätestens die nächste Generation wird dafür sorgen, dass Firmen ohne ökologische Strategie nicht ewig bestehen werden.
Sie haben Cervo Volante mit Ihrer Geschäftspartnerin Conny Thiel-Egenter gegründet. Heute besteht das Kernteam aus fünf Frauen und einem Mann. Ist diese Zusammensetzung ein Zufall oder eine bewusste Wahl?
Zufall. Aber es braucht auch Männer für die Diversität. Sie denken anders als Frauen. Deshalb braucht es beide.
Ein Startup zu gründen ist im Vergleich zu einer Festanstellung mit Fixlohn, Kinderzulagen etc. finanziell ein grosses Risiko. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet und das familiär geregelt?
Zu Beginn habe ich früh am Morgen sowie am Abend und an den Wochenenden für Cervo Volante gearbeitet. Später habe ich mein Arbeitspensum auf 80 Prozent reduziert. Wir haben uns gut vorbereitet und uns viel Zeit genommen für die Recherche im In- und Ausland, Businesspläne etc. In den letzten eineinhalb Jahren habe ich mich dann ganz auf Cervo Volante konzentriert. Zur finanziellen Entlastung haben wir die Kinder aus der externen Betreuung genommen. Gleichzeitig zahle ich mir nur ein kleines Salär aus.
Sparen ist hierzulande zwar eine Tugend, doch eine Mehrheit der Frauen überlässt die Finanzplanung dem Mann. Wie handhaben Sie das Thema Finanzen und Vorsorge?
Wir machen das gemeinsam und füllen deshalb die Steuererklärung immer abwechselnd aus. Vieles entscheiden wir zusammen, etwa, wenn wir investieren oder für die Kinder ein Sparkonto eröffnen. Die Vorsorge habe ich hingegen immer für mich selbst geregelt, beispielsweise mit einer 3. Säule, die ich bereits in Estland eröffnet habe.
Wie wichtig ist Ihnen finanzielle Unabhängigkeit?
Eigene Wege gehen und selbst entscheiden zu können, ist für mich sehr relevant. Um mein Leben gestalten zu können, muss ich genügend verdienen. Ein sehr hoher Lohn ist dafür aber nicht nötig..
Haben Sie ein Sparziel, um sich einen bestimmten Traum zu erfüllen?
Das Sparen ist jedenfalls nicht das Ziel (lacht). Irgendwann will ich mir in den schönen Schweizer Bergen ein kleines Nest leisten.
Was bedeutet für Sie persönlich Erfolg?
Selbstbestimmung. Wenn man das Leben so gestalten kann, wie man will.
Haben Sie das erreicht?
Mit Cervo Volante habe ich das auf kleinem Niveau geschafft. Was ein grosser Erfolg wäre: Dieses Geschäftsmodell skalierbar und massentauglich zu machen. Und damit andere vom Weg zu überzeugen, Wirtschaftlichkeit und Ökologie erfolgreich zu verbinden.
Weshalb ist Ihnen Selbstbestimmung wichtig?
Egal in welchem Beruf: Wenn man weiss, wieso man etwas macht, steht man gerne auf. Wenn das dann auch noch mit dem eigenen Wesen, Glauben und der persönlichen Vision übereinstimmt, dann ist es wie ein Hobby. Deshalb habe ich mich mit meiner Geschäftspartnerin sehr lange über das «Warum» ausgetauscht. Wir sind beide der Überzeugung, etwas zum Erhalt unserer Umwelt beitragen zu wollen – vor allem auch für unsere Kinder. Das macht für uns Sinn und ist deshalb erfüllend.
Was raten Sie Frauen, die ihr Leben selbstbestimmt führen wollen?
Frauen brauchen Frauen als Rollenmodelle. Dies sollten sie aktiv suchen. Und sie müssen sich auf einen Prozess einlassen, um Mut zu finden. Das lässt sich Schritt für Schritt aufbauen, auch mit Hilfe von aussen, sei es mit Coaches, in Vereinigungen, im Bekanntenkreis etc. – dort, wo man ernst genommen und gefördert wird.
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Zum Artikel:
7 von 10 Schweizer Frauen überlassen die Finanzplanung ihrem Partner und halten Geld-Dinge für «Männersache». Dies zeigte eine Studie der UBS aus dem Jahr 2019 (https://www.watson.ch/Schweiz/). Derweil gibt es vermehrt Finanzbloggerinnen wie madamemoneypenny.de, die Frauen dazu animieren, sich mit dem Thema Finanzen auseinanderzusetzen. Auch die Swiss Life will Frauen mit ihrer Selbstbestimmerinnen Blog-Serie dazu motivieren. Sie hat mit Kadri Vunder Fontana, Gründerin von Cervo Volante, dieses Video-Interview dazu geführt: https://www.swisslife.ch/de/private/blog/interview-kadri-vunder-fontana.html
Kadri Vunder Fontana (1976) ist in Estland geboren, hat dort Bio- und Lebensmitteltechnologie studiert und mit dem Master in analytischer Chemie abgeschlossen. 1999 kam sie in die Schweiz, forschte an der ETH Zürich im Bereich computergestützter Chemie und gründete ein Biotech-Unternehmen. Anfangs der 2000-Jahre schloss sie in den USA den Master in Business Administration (MBA) in Marketing ab und arbeitete anschliessend in der Schweiz für ein internationales Chemie- und Nahrungsmittel-Unternehmen. 2007 kehrte sie nach Estland zurück, wechselte die Branche und wurde Chefin im Private Banking. Danach kam Vunder Fontana zurück in die Schweiz, schloss 2008 an der Hochschule St Gallen ihr Doktorat in Wirtschaftswissenschaften ab und war für Biotech- und Beratungsunternehmen tätig. 2017 gründete sie mit einer Partnerin Cervo Volante. Nebenbei begleitet sie die Transformation einer Bank in Estland. Sie hat zwei Kinder und lebt mit ihrem Mann in Zürich.
Umsetzung und Produktion: mitinhalt.ch
Bilder und Videos: Giorgia Müller
Text: Simon Eppenberger