Gratisversand ab CHF 250 in der Schweiz | Mehr Infos hier
Schliessen

Als der Rothirsch aus der Schweiz verschwand

Der Rothirsch wurde im 19. Jahrhundert in der Schweiz ausgerottet. Die damals einsetzende Industrialisierung und das damit verbundene Bevölkerungswachstum forderten viel Energie-Holz. Eine intensive Waldnutzung sowie Kahlschlagflächen für Viehweiden führten zu einem grossflächigen Verlust des Hirsch-Lebensraums. Mit der französischen Revolution wurde auch die Jagd zum Volksrecht erklärt. Gesetze zum Schutz der Wildtiere fehlten hingegen. Diese ungeregelte Volksjagd mit verbesserter Waffentechnik in Kombination mit grosser Armut und Hungersnöten in der Bevölkerung führten zu einer intensiven Übernutzung der Wälder und der Wildbestände. Lebensraumverlust und Überjagung führten zum Aussterben des Rothirsches in der Schweiz.

Der König des Waldes kehrt zurück…

Dank dem ersten Forst- und Jagdgesetz um 1876 wurden wegweisende Schutzmassnahmen für Wald und Wild festgelegt. Die Jagd wurde gesetzlich geregelt, ein Netz von Wildschutzgebieten mit staatlichen Wildhütern eingeführt, übermässige Waldweide verboten und viele Aufforstungsprojekten umgesetzt. Ausgehend von Restpopulationen in Nachbarländern begann das Rotwild seinen Lebensraum in der Schweiz zwischen 1870 und 1880 wieder zurückzuerobern. Diese erfolgreiche Rückeroberung startete, ausgehend von Hirschen aus Vorarlberg, im Kanton Graubünden. Sie setzte sich im 20. Jahrhundert vom Osten der Schweiz kontinuierlich in den Westen fort und dauert noch immer an.

© Fabian Riedinaturvision

…zurück nach Bern:

Erste Rothirsche wanderten in den 1960er Jahren über den Brünig und Grimsel ein. Ende der 1970er Jahre zählte man im Osten des Kantons Bern rund 70 Rothirsche. Aus Angst vor Waldschäden wollte man jedoch verhindern, dass der Rothirsch sich weiter ausbreitet. Der Bestand wurde jagdlich so stark reguliert, dass er nur langsam wachsen, und sich kaum ausbreiten konnte. So schätzte man den Bestand 2005, nach 35 Jahren, auf lediglich 375 Hirsche. Dank einer neuen Jagdplanung des Kantons, wuchs der Bestand in den nachfolgenden zehn Jahren dann fast um das fünffache, auf über 1700 Tiere an. Dank des Populationswachstums breitet sich das Rotwild aus dem Alpenraum über die Voralpen und den Jura nun sogar bis ins Mittelland aus. Bei dieser Wanderung werden sie aber oft von vielen menschlichen Hindernissen aufgehalten.

<strong>Rotwild Ausbreitung aus dem Alpengebiet in die Voralpen und das Mittelland Links vor 2005 rechts 2006 2019 © CSCF Schweiz<strong><br>

…zurück nach Zürich:

Entgegen den Erwartungen vieler Experten, wandern Rothirsche auch ins dicht besiedelte Mittelland zurück, und sind aktuell daran, sich dort dauerhaft anzusiedeln. So wanderte Rotwild z.B. vom französischen Jura ins Flachland nördlich der Stadt Genf zurück. Entlang der Albiskette wanderten Hirsche sogar bis in die Umgebung der Stadt Zürich. Heute haben sich Bestände u.a. am Albis und Uetliberg, im Zürcher Oberland und im Knonauer Amt gebildet. Auch im Aargau stossen Rothirsche aus Nordosten, Süden und aus Westen vor.

Besenderte und markierte Hirschkuh © Markus Stähli

Freie Bahn für Wildtiere

Auf ihren Wanderungen und Rückeroberung des angestammten Gebiets, treffen Rothirsche auf viele Hindernisse: Unüberwindbare gezäunte Autobahnen, vielfrequentierte mehrgleisige Bahnstrecken, dicht bebautes Siedlungsgebiet und verbaute Ufer. All dies be- oder verhindert den Austausch von Wildtierpopulationen, die Ausbreitung in neue Gebiete oder das Aufsuchen von geeigneten Wintereinständen. Das Bundesamt für Umwelt hat deshalb Vernetzungsachsen für Wildtiere definiert, entlang derer Rothirsch, Reh, Dachs und Luchs die dicht besiedelte Schweiz durchwandern können. Engpässe auf diesen Achsen, sog. Wildtierkorridore, sind besonders wichtig. Die Kantone müssen dafür sorgen, dass diese Korridore für Wildtiere nicht verbaut werden und an bestehenden Autobahnen Grünbrücken oder Wildunterführungen erstellt werden. Obwohl in den letzten Jahren einige Passagen für Wildtiere erstellt wurden, sind noch immer knapp 50 Korridore für Wildtiere unterbrochen. Insbesondere die längste Autobahn A1, welche entlang dem Mittelland die Schweiz quert, verhindert den Austausch von Wildtierpopulationen zwischen Jura und Voralpen. Bis zur geplanten Erstellung weiterer Bauwerke für die Wildtiere, wird deren weitere Ausbreitung verlangsamt.

Rotwild Ausbreitung aus dem Alpengebiet in die Voralpen und das Mittelland Links vor 2005 rechts 2006 2019 © CSCF Schweiz

Weibliches Rotwild wird auf der täglichen Wanderung zum Einstand von einer von einer Wildkamera erfasst © FORNAT AG

Einblick ins geheime Leben des Rotwilds

In einem Forschungsprojekt der Kantone St.Gallen und beider Appenzell haben Forscher der Zürcher Hochschule ZHAW Wädenswil mit kantonalen Wildhütern 45 Rothirsche eingefangen und narkotisiert. Die Tiere wurden mit Telemetrie-Halsbändern besendert. 450’000 GPS-Positionen lieferten die Hirschstiere und Hirschkühe, und damit eine wertvolle Datengrundlage um Licht ins Dunkel des wilden Rothirschlebens zu bringen. Insbesondere wollten die Forschenden herausfinden, wo sich die Tiere im Winter und Sommer aufhalten, wie und wohin ihre Wanderungen sie führen.
Die «Schicksale» von zwei einzelnen Hirschen geben Einblick ins wilde Rothirschleben, welches oft näher bei uns stattfindet als wir denken. Während die Hirschkuh ID002 ganzjährig das St. Galler Rheintal nahe der Autobahn bewohnte, fand der weit wandernde Hirschstier ID011 in einem Brunftkampf im Berggebiet ein tragisches Ende (aus dem Abschlussbericht des interkantonalen Forschungsprojekts in der Ostschweiz «Rothirsch in der Ostschweiz», 2020):

Der Rothirsch macht seinem Namen als König des Waldes alle Ehre, ist aber weit mehr als das: Er legt auf seinen Wanderungen grosse Distanzen zurücklegen, quert Autobahnbrücken, lebt in der Nähe von dicht besiedeltem Gebiet und hat sich gar in Stadtnähe bei Zürich oder Genf niedergelassen. Seine Rückeroberung der Lebensräume in der Schweiz dauert noch immer an. Es ist spannend zu verfolgen, wie der Rothirsch aktuell das Mittelland wieder besiedelt. Erstaunlich, dass diese grosse ikonische Art dabei über lange Zeit in einem Gebiet unbemerkt bleibt. Es bleibt zu hoffen, dass das Netz von wildtierspezifischen Überführungsbauwerken an Strasse und Bahn bald vervollständigt werden kann – für die Wiederbesiedlung des Rothirschs und die Vernetzung seiner Bestände sowie die von vielen weiteren Wildtierarten.

© Fabian Riedinaturvision

Literatur:

C. Willisch, N. Marreros, L. Schaufelberger & S. Pisano, 2019: Austausch von Rothirschen zwischen den Voralpen und dem Mittelland. Schlussbericht, Erstellt im Auftrag des Kantons Bern

D. Thiel, C. Signer, R.F. Graf, S. D. Wellig, U. Nef, H. Nigg, A. Elmiger, A. Ammann, 2020: Rothirsch in der Ostschweiz. Abschlussbericht des interkantonalen Forschungsprojekts in der Ostschweiz der Jahre 2014–2017.

M. Baumann, S. Muggli, C. Thiel-Egenter, D. Thiel, M. Thürig, P. Volery, P. Widmer, S. Wirthner, U. Zimmermann, 2020: Jagen in der Schweiz. Auf dem Weg zur Jagdprüfung. 3. Auflage. JFK-CSF-CCP.

Schliessen
Warenkorb (0)

Es befinden sich keine Produkte im Warenkorb. Es befinden sich keine Produkte im Warenkorb.


Sprache