Interview mit Bernhard Neuenschwander,
Hirschfell-Beschaffungsprofi für Cervo Volante
Bernhard, du kümmerst dich für Cervo Volante mit deiner Firma Neuenschwander AG um die Beschaffung unserer Rohware, der Hirschhäute. Der gesamte Beschaffungsprozess ist aufwändig und lang: Kontakte zu Metzgern, Planung der Abholrouten, Logistik, Sortierung der Häute, Konservierung und Lagerung bis zur Lieferung der Häute an die Gerbereien. Wie lange seid ihr im Herbst jeweils unterwegs und wieviele Metzger besucht ihr bei einer Sammeltour?
«Je nachdem wo die Metzgereien in der Schweiz liegen, gibt es längere oder kürzere Touren. Im Bündnerland sind die Fahrten immer lang. Da arbeiten wir mit einem Partner. Grundsätzlich fahren wir um 4-5 Uhr in der Früh los und sind so gegen 15 Uhr am Nachmittag zurück damit die Felle am gleichen Tag auskühlt und zugeschnitten werden können. Das Sortieren (Qualitätstriage) und Salzen erledigen wir dann am Folgetag.»
Wie bewältigt ihr das hohe Tempo, das während der Jagdsaison für die Sammlung und Konservierung der Felle erforderlich ist?
«Das ist eine reine Frage der Organisation. Wir haben einen guten Partner, der während der Jagdsaison im Herbst nur für das Einsammeln der Felle unterwegs ist. In einigen Gebieten holen wir die Felle selbst bei den Metzgereien ab. Für diese kurze Zeit im September setzen wir eigene Leute von anderen Bereichen für Fahrten, Zuschnitt und Salzen ein – inklusive den Chef.»
Welches ist die grösste Herausforderung bei der Fellsammlung und Lagerung?
«Die Rohware kommt frisch von der Metzgerei zu uns. Für den Metzger sind Hirschfelle Abfallprodukte, und können nicht ewig gelagert werden. Deshalb sind unsererseits häufige Abholungen nötig und eine rasche Bearbeitung, sonst verfault die Ware. Wir müssen die Touren daher geschickt planen und schnell sein.»
Was zeichnet eine gute Qualität bei Hirschfellen aus? Sind Kampfspuren schon bei rohen Fellen sichtbar?
«Ja, Kampfspuren und Schleifspuren sieht man schon bei rohen Fellen, natürlich auch Einschuss – und Ausschussloch. Schäden an den Häuten können aber auch durch eine schlechte Konservierung entstehen. Es braucht viel Übung und ein geschultes Auge, um zu sehen, was verwendet werden kann und was nicht.»
Wie hoch ist die Ausschussrate beim Sortieren, Lagern und Gerben?
«Von der angelieferten Ware können wir rund einen Viertel nicht gebrauchen. Da wir aber alles unabhängig von der Qualität bei den Metzgereien abholen, entstehen auch bei der Ausschussware Kosten durch die Fahrten und die Entsorgung.»
Gerbertreff
Fachaustausch mit unseren Gerbereipartnern: v.l.n.r Kadri Vunder Fontana, Geschäftsführerin Cervo Volante, Beat Graber, Geschäftsführer Graber Gerberei, Bernhard Neunschwander und Max Gimmel, VR und Lederexperte von Cervo Volante.
Wie siehst Du die Zukunft des traditionellen Fell- und Gerbereihandwerks in der Schweiz?
«Die bestehenden Gerbereien in der heutigen Struktur haben gute Chancen zum Überleben, da es genügend Arbeit gibt. Denn Schweizer Produktion und Produkte braucht man wieder mehr. Die grösste Herausforderung sind unsere Kosten und unsere im Vergleich mit dem nahen Ausland hohen Preise. Wir haben in der Schweiz rund 50% höhere Löhne. Eine weitere Herausforderung für Schweizer Gerbereien ist die Nachfolgeregelung und generell der Handwerkermangel. Die Firma Neuenschwander bildet deshalb auch selbst Lehrlinge aus, und ist zurzeit personell gut bestückt.»
Was schätzt Du an der Zusammenarbeit mit Cervo Volante?
«Ich schätze die Zuverlässigkeit und die Offenheit in der Zusammenarbeit unserer beiden Firmen.»
Macht die Verwendung von Hirschdecken Sinn?
«Alles, was man weiterverwenden kann, ist sinnvoll. Hirsche schiesst man zur Bestandes-Regulierung – also macht es Sinn, diese zu verwenden. Wir sollten überhaupt viel mehr darauf achten, dass wir Schweizer Ware in der Schweiz verwenden. Ein Grossteil des Rindleders wird exportiert, Schaffelle werden sogar einfach entsorgt – es wäre super, wenn auch diese wie die Hirschfelle verwertet werden könnten.»
Cervo Volante hat 2016 die ersten Gerbtests mit Hirschfellen durchgeführt, und erste Produkte daraus fertigen lassen. Im Herbst 2017 haben sich die GründerInnen mit einem Lieferwagen selber auf Sammeltour zu den ersten Metzgereien begeben. Conny, Kadri und Marc haben damals viele Hirschhäute in die Hände genommen, geprüft und mit den Metzgern besprochen. Seit 2019 sammelt Bernhard Neuenschwander mit seiner Firma die Rohware, konserviert diese und liefert sie im Auftrag von Cervo Volante an die beiden Berner Gerbereien, welche die Häute nach Cervo Volantes Rezeptur gerben. Seither werden jeden Herbst mehr Häute gesammelt, aktuell bis 2000 Häute.
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Bernhard Neuenschwander ist Präsident der Geschäftsleitung der auf Felle spezialisierten GNS Neuenschwander AG im bernischen Oberdiessbach. Bernhard Neuenschwander ist Gesamtleiter Rohware, Gerberei und Verkauf sowie Geschäftsführer der Filiale in Sierre und Leiter des Metzgercenters der Firma. Das Familienunternehmen GNS wurde im Jahr 1862 gegründet und wird von den beiden Brüdern Bernhard und Marc Neuenschwander in der fünften Generation geführt. Heute liegt der Geschäftsfokus auf dem Handel mit rohen Häuten und Fellen sowie der Fellzurichterei. Auch ein moderner Verkaufsladen für Bekleidung und Accessoires aus Leder und Lammfell sowie ein Fellshop und ein Metzgercenter gehören zum Betrieb.