Wolle, so altbekannt und selbstverständlich, dass sich niemand darüber den Kopf zerbricht. Ein Naturmaterial, mal edel, mal kratzig. Woher aber stammt Wolle, Schafwolle? Wie und wo wird sie verarbeitet? Gibt es sie noch, die Schweizer Schafwolle? Und sollen wir bei Cervo Volante Wolle verwenden? Über diesen Fragen haben wir gebrütet, und möchten Ihnen die spannenden Facts, die wir gefunden haben, weitergeben
Schafwolle zum Verbrennen?
Schafwolle hatte in früheren Zeiten einen sehr hohen Stellenwert – sie wurde für hochwertige Kleidung und Gegenstände wie Segel und Teppiche verwendet. Die Wolle war etwa zehnmal so wertvoll wie das Fleisch der Schafe, und wurde sogar als das weisse Gold und der Stoff der Könige bezeichnet. In den letzten Jahrzehnten kam in der Schweiz wie in den meisten Regionen Europas jedoch der Wollniedergang: Als Konsequenz der Weiterentwicklung von synthetischen Fasern, die viel preisgünstiger sind und besser geeignet für schnelle Massenproduktion, ist die Wolle zu einem lästigen Nebenprodukt der Fleischproduktion geworden, welches man möglichst schnell und billig loswerden will. So wird wertvolle Schafwolle verbrannt oder anderweitig vernichtet. Klingt bekannt? Genau – die Schafwolle hat das gleiche Schicksal ereilt wie die Hirschhäute in der Schweiz. Ein Wahnsinn, finden wir.
Hochfunktioneller Natur-Rohstoff
Denn Schafwolle ist ein hochwertiger natürlicher Rohstoff, den man nicht genug loben kann. Schafwolle «wächst nach» und ist biologisch abbaubar. Wolle ist langlebig, nur schwer entflammbar und äusserst vielseitig einsetzbar. Sie lässt sich gut verarbeiten und wird mit Tradition, Qualität und Langlebigkeit assoziiert. Das Material reinigt sich selbst – gut durchlüften und schon ist es wieder einsetzbar. Die Wollfasern können zudem sehr gut Feuchtigkeit aufnehmen – da bei diesem Prozess in den Fasern Wärme erzeugt wird, fühlt sich die Wolle nie kalt an – auch nicht, wenn sie nass ist, im Gegensatz zu Baumwolle. Schafwolle wärmt, wenn es kalt ist und kühlt, wenn es heiss ist. Gleichzeitig wirkt Wolle wasserabweisend, dank der schuppenartigen Oberfläche der Fasern, die zusätzlich mit Lanolin, dem Wollwachs umgeben sind. Deshalb kann Flüssigkeit von einer Wolldecke einfach abgewischt werden, bevor diese wirklich nass wird. Zu guter Letzt soll Wolle Luft-Schadstoffe neutralisieren (als Naturwissenschafterinnen können wir uns dies zwar nicht erklären, aber es muss ja auch nicht alles erklärt sein).
Wollniedergang und Wiederaufstieg
Kein Wunder ist Schweizer Schafwolle zum raren Gut geworden, denn das Scheren der Schafe macht sich heute nicht mehr bezahlt. Kostet eine Schur rund sieben Franken, so erhält ein Schafhalter durchschnittlich gerade mal einen Franken pro Kilo Wolle, also rund zwei bis fünf Franken pro Schaf (je nach Wollfarbe und Qualität).
In den 1950er Jahren waren es noch zehn Franken pro Kilo. Damals betrieb der Bund eine Inlandwollzentrale, die die gesamte Schweizer Schafwolle einsammelte und auf den Markt brachte. Die Abnahme der Schafwolle war damit garantiert, der Preis festgelegt. 2009 musste die Inlandwollzentrale geschlossen werden, weil sich der Bund aus der Beteiligung zurückzog. Dank Fördergeldern des Bundesamts für Landwirtschaft für die Verwertung von inländischer Schafwolle und für innovative Projekte zur deren ökologisch und wirtschaftlich sinnvollen Nutzung, konnte jedoch der vollständige Wollniedergang verhindert werden. Seither sind Initiativen wie Swisswool entstanden, welche wieder Wollsammelstellen eingerichtet haben und Schafhaltern einen festgelegten Preis für ihre Wolle bezahlen. Als Hauptpartner dieser Initiative verwendet Ortovox Schweizer Wollvlies als Isolation in ihrer Sportbekleidung. Trotzdem, die gesamte Textil-Produktionskette von der Rohwolle bis zum fertigen Garn oder gar Wollstoff wie Loden, Walk oder Tweed existiert in der Schweiz nicht mehr.
Es gibt jedoch junge Unternehmen, wie Wollsein, die sich zum Ziel gesetzt haben, diese Textilproduktionskette mit Wolle in der Schweiz wieder zu ermöglichen. Ausserdem hat Muntagnard mit Schweizer Wolle in Italien einen wunderschönen Wollstoff und daraus eine Winterjacke entwickelt, notabene mit Hirschlederdetails von Cervo Volante.
Schwarze Schafe – die Schattenseite der Wolle
Klar, Schafe sind nicht wild wie «unsere» Rothirsche, sondern entstammen der landwirtschaftlichen Zucht. Ehrlicherweise wollen wir daher die Schattenseiten der Schafzucht und damit der Wolle nicht unerwähnt lassen. Wie förderlich die rund 400’000 Schweizer Hausschafe für die Offenhaltung von alpinen Weiden und für die Biodiversität wirklich sind, hängt nämlich davon ab, wie gut die Schafherden geführt und gehalten werden. Zu hoher Beweidungsdruck kann die teils sensible alpine Vegetation nachhaltig schädigen, Trittschäden und Probleme mit Wildtieren verursachen. So können Schafe Krankheiten wie die Gamsblindheit auf Gämsen übertragen und zu einem Populationsrückgang dieses Wildhuftiers beitragen. Daher wären Behirtung, Elektrozäune gegen Grossraubtiere und regelmässige Kontrollen des Gesundheitszustands der Schafe ein Muss. Nicht nur aus Natur- und Tierschutzsicht, sondern auch der Wollqualität zuliebe. All dies wäre Stoff genug für einen separaten Blogbeitrag.
Schafwolle bei Cervo Volante
Wilde Wolle gibt es bei uns leider nicht. Als Alternative zu Synthetik, Baumwolle und Mischfasern erachten wir Schafwolle jedoch als wunderbaren Rohstoff für die Schuhfütterung oder für Textilien. Unsere multifunktionalen Caban- und Parkamäntel haben ein Herz aus pflanzlich gegerbtem wilden Fuchsfell. Im Rahmen der nachhaltigen Schweizer Jagd gewonnen, und vor dem Verscherbeln gerettet, findet dieser edle Naturpelz als herausnehmbares Futter-Gilet dezente Verwendung in unseren Jacken. Die Aussenhülle bildet ein wasserabweisender, weicher Lodenstoff aus Schafwolle.
Und weil eine Wollstoff-Produktion in der Schweiz noch nicht möglich ist, sind wir bei unseren Nachbarn in Österreich fündig geworden. Eine traditionelle steirische Lodenwalkerei liefert uns den hochwertigen dunkelblauen Schafwollstoff. Erhältlich für schlaue Füxinnen und Füxe.
Und wer kalte Füsse hat, kann sich in unserem Ladengeschäft in Zürich mit handgefilzten Einlagesohlen aus Urner Schafwolle ausrüsten.
Zu Weihnachten wollen wir dem wunderbaren Rohstoff der Schafe speziell gedenken, und diejenigen unterstützen, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen. In Estland, der Heimat von Cervo Volante Mitgründerin Kadri, sind Schafe und einheimische Schafwolle noch stärker in der Kultur verankert, und das Woll-Handwerk noch vorhanden. Wir schenken deshalb unseren Kundinnen und Kunden bis Ende Januar zu jeder Schuh-Bestellung* ein paar wollig-weiche Handschuhe, handgefertigt in Estland mit baltischer Schafwolle.
* Schuh-Modelle Curaglia, God Grisch, Val Verda, Gamperfin, Breil, Samada, Pardiel und Val Flin.
Titelbild: Kadri, Mitgründerin von Cervo Volante mit ihrer Familie in ihrer Heimat Estland. Sie trägt den Hirschleder-Boot God Grisch in dunkelbraun, ihr Mann Patrick trägt den Curaglia, eichengegerbt und ungefärbt.
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Referenzen:
A Fresh Look at Wool“ von Ingun Grimstad Klepp, Tone Skårdal Tobiasson, Charlotte Bik Bandlien, 2010
„Valuing Norwegian Wool“, ein Fachbericht von Marie Hebrok, Kirsi Laitala, Ingun Grimstad Klepp et al., 2012
„Jääkvill“ (auf Deutsch „Restwolle“), Masterarbeit von Katrin Kabun, Eesti Kunstiakadeemia, 2017
https://www.fiwo.ch/schafwollankauf/ankaufspreise-1/
BLW, Evaluation der Verordnung über die Verwertung der inländischen Schafwolle Evaluationsbericht, August 2015
Archiv für Agrargeschichte, Peter Moser
Vom Schaf zum Pullover, 02.11.2017, Wollwerkstatt